Der goldene Würfel von Zwettl

Zu Gast beim Waldviertler Musikverein C. M. Ziehrer

 

Wie ein Monolith taucht es auf, das Haus für die Blasmusik, und präsentiert sich anmutig vor der Stirnseite des Zwettler Stadtamtes. Mit seiner auffälligen goldenen Fassade zollt es den Blechbläsern Tribut, die Form der Kacheln erinnert an die Musikertrachten. Seit knapp zehn Jahren proben die 80 MusikerInnen des traditionsreichen Musikvereins C. M. Ziehrer einmal wöchentlich hier, bespielen den fünf Meter hohen Orchestersaal und feiern auch mal Geburtstage im Pausenraum.

Text
Julia Gschmeidler
 Fotos
Niko Havranek

„One, two, ah one, two, three, four“ schallt es durch den Orchestersaal. Kapellmeister Herbert Grulich beginnt, den Taktstock durch die Luft gleiten zu lassen, spitzt die Ohren, hält dann inne und erstarrt kurz darauf wieder mit dem Stock in der Hand. „Miteinander ist es schöner!“, ruft er und hält die MusikerInnen dazu an, mehr aufeinander zu hören und nicht unterschiedliche Tempi zu spielen.

Es ist eine der ersten Proben nach einer langen Coronapause des über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Musikvereins Carl Michael Ziehrer im Musikheim Zwettl. Ein Musikheim, das nächstes Jahr 10-jähriges Jubiläum feiert und seit seiner Eröffnung für viele kontroverse Gespräche gesorgt hat. „Goldstück“ nennen es die Befürworter, „Maggiewürfel“ die Kritiker. Direkt am Vorplatz des Stadtamtes Zwettl kokettiert es mit seiner fensterlosen, goldenen Fassade mit den Nachbargebäuden. Ungewöhnlich im Vergleich zu der restlichen Waldviertler Architektur in der Altstadt. „Das ist wohl die moderne Zeit, die verstehe ich nicht“, sagt eine Passantin. „Man hat sich daran gewöhnt, es stört nicht mehr“, fügt ein direkter Nachbar hinzu.

Zwettl brauche eben etwas länger, antwortet die Vizebürgermeisterin Andrea Wiesmüller und lacht. Sie ist auch Obfrau des Musikvereins und war von Beginn an im Prozess vom Architekturwettbewerb bis zur Fertigstellung involviert. „Die Hauptkritik war der Standort und nicht das Objekt“, sagt sie. Damals wären die Emotionen in der Bevölkerung hochgegangen, heute kämen sogar Touristen in die Stadt, um sich das Bauwerk für die Zwettler Musik anzusehen. „Das Gebäude ist mit seiner einzigartigen Formgebung und Oberfläche in gewisser Weise ein Kunstwerk, welches immer wieder von architekturinteressierten Personen bestaunt wird“, sagt sie. Es sei neben dem Hundertwasserbrunnen am Hauptplatz das architektonische Highlight der Stadt.

Vereinsobfrau und Vizebürgermeisterin Andrea Wiesmüller

»Manche Leute verstehen nicht ganz, dass es keine Fenster gibt, die man von der Straßenseite sieht und dass Licht und Sauerstoff durch die Kuppeln von oben kommen.«

Vor dem Eingang des Musikvereins prangt ein QR-Code am Geländer. „Musikheim – architektonisches Meisterstück“ ist darunter zu lesen, der Code führt zu einer Audioguide-App, ein Kapitel ist dem Gebäude gewidmet. „Mit seinem zeitgemäßen und bewusst reduzierten Design bildet es einen klaren Kontrast zum Stadtamt. Die großflächigen, goldenen Fassadenplatten erinnern an die Farbe der Blechblasinstrumente“, sagt der Sprecher mit ruhiger, tiefer Stimme. Es ist ganz klar, dass die Stadt heute stolz ist auf den „schwebenden goldenen Würfel“, wie viele das Musikheim nennen. Das Gebäude macht die Arbeit des Vereins nicht nur sichtbarer, sondern auch funktionaler.

Mächtiger Klang

20 Jahre spielte das Orchester nämlich in einem Provisorium – dem Dachgeschoß des Stadtamtes. Unter den beengten Raumverhältnissen litten Akustik und Luftqualität, die Stadt schrieb schließlich einen Architekturwettbewerb aus, die Räume sollten um- und ausgebaut werden. Franz&Sue schlug damals als einziges Architekturbüro ein Solitär am Vorplatz des Stadtamtes vor – ein eigenes Gebäude, das ein Zeichen für die MusikerInnen setzt und einen Proberaum mit optimalen akustischen Bedingungen beherbergt. „Ohne Zweifel ist die Akustik jetzt viel, viel besser“, sagt Kapellmeister Herbert Grulich. Manchmal sei der Klang sogar so mächtig, dass er ganz genau arbeiten müsse, um die leiseren Dynamikstufen gut herausarbeiten zu können. Immerhin habe sich das Raumvolumen auch fast verdreifacht.

Während er das erzählt, streifen sich die Musiker die Wintermäntel ab, wechseln Straßen- gegen Hausschuhe und adjustieren sich im Proberaum, der im Obergeschoß liegt. Allmählich schallen auch bereits die ersten Klänge bis in den Pausenraum im Untergeschoß. Gleich startet die wöchentliche Orchesterprobe, jeden Freitagabend treffen die 80 MusikerInnen hier einander, um das aktuelle Konzertprogramm durchzugehen, sich auf die nächsten Auftritte vorzubereiten, sich auszutauschen. An diesem Abend steht etwa „ABBA Revival“ am Programm, ein Medley für Blasorchester mit Superhits wie „Super Trouper“ oder „Waterloo“. Querflöten, Saxophone, Trompeten, Waldhörner, Posaunen, Tuben, Schlaginstrumente – sie alle ertönen und füllen den großen Probensaal mit weltbekannten Melodien. Nur ab und zu unterbricht der Kapellmeister das Geschehen, um den optimalen Klang zu finden, lässt die Klarinettisten etwa vom Blatt weg eine Oktave tiefer spielen.

Pausentratsch

Nach einer Stunde dann die erste Pause – die Gesichts- und Lippenmuskulatur und auch der Geist sollen sich kurz erholen. Dafür marschieren die MusikerInnen runter in den Pausenraum – hier befinden sich gemütliche Bänke, eine Bar, eine Vitrine mit unzähligen Pokalen und Auszeichnungen. Seit 1887 gibt es den Musikverein Zwettl schon, das bezeugen auch viele Zeitdokumente und historische Fotos, die an den Wänden hängen. Im Eck gewährt eine Tür Einblick in einen Raum, in dem Instrumente, Noten, Trachten und das Archiv untergebracht sind. Hier arbeitet der Kapellmeister, wenn er nicht gerade am Dirigentenpult steht. Auf dem kleinen Schreibtisch recherchiert er Konzertprogramme, sucht Stücke, die dem Leistungsniveau des Orchesters entsprechen, erstellt Flyer und kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit. Rund acht Stunden die Woche verbringt er hier ehrenamtlich.

»Die Funktionalität steht für uns im Vordergrund. Uns hat es nie tangiert, wie es außen aussieht, sondern wie es herinnen ist.«

Kapellmeister Herbert Grulich, die MusikerInnen nennen ihn Herti

Manchmal wünsche er sich einen weiteren Raum, da das Büro schon aus den Nähten platze, meint er. Durch die Nutzung hätten sich in den vergangenen Jahren auch schon weitere Ideen herauskristallisiert. So wären zusätzliche Räume nicht schlecht, wenn etwa kleinere Ensembles für Kammermusikwettbewerbe proben. „Dann könnten die Leute vom hohen Blech oder den Holzblasinstrumenten auch in einer Gruppe zusammensitzen und ihre instrumentenspezifischen Stellen der Orchesterstücke extra proben“, meint Grulich.  Ansonsten seien er und die restlichen Orchestermitglieder sehr zufrieden mit ihrem Musikheim. Für sie stehe sowieso nicht die Architektur im Vordergrund, sondern die Funktionalität. Die Wirkung nach außen – ob es die gibt oder nicht, sei nicht wirklich relevant für sie. Die Obfrau und Vizebürgermeisterin Andrea Wiesmüller ist jedenfalls sehr stolz auf das Gebäude. Denn im ganzen Waldviertel habe kein Musikverein so ein besonderes Musikheim.